Der letzte Punsch ist ausgetrunken, die letzten Jobs vor den Feiertagen sind erledigt, die elektrischen Kerzen am Christbaum brennen, die Wohnung ist geputzt, die Nachspeise ist vorbereitet, die Steaks warten darauf, dass sie in der Pfanne brutzeln dürfen. In den sozialen Medien werden die ersten Weihnachtsbaum-Fotos geteilt. Die Spotify-“Nie wieder last Christmas“-Playlist spielt „River“ von Joni Mitchell und „Fairytale of New York“ von den Pogues auf und ab.
Gleich werden meine Eltern eintreffen, wir werden essen, trinken, lachen, vermutlich werden wir irgendwann bei Scrabble enden und uns gegenseitig mit absurden, anzüglichen Wortkreationen übertreffen. Das „echte“ Weihnachten wird dann morgen nachgeholt. Das erste gemeinsame mit meinem Neffen. Der ein kleines Wunder ist und für uns alle das schönste Geschenk. Manches wird heuer anders sein, aber das ist nicht wirklich schlimm.
Schlimm ist es für Menschen, die nicht mit ihren Lieben feiern können. Weil die Lieben nicht bei ihnen sein können oder weil sie für immer gegangen sind. Wie viele Menschen haben jemanden verloren? Wie viele Menschen sind unendlich weit weg von zuhause? Wie viele Menschen haben kein Zuhause?
Was wirklich zählt
Schätzen wir wirklich, was wir haben, so lange wir es haben? Vielleicht streiten wir, weil wir in manchem nicht einig sind, aber im Grunde unseres Herzens haben wir den anderen lieb, ob wir es aussprechen können oder nicht. Vielleicht wurde dein Herz gebrochen, vielleicht hat dir jemand gezeigt, wie es sein könnte, einen Teil des Weges gemeinsam zu gehen – nur um trotzdem alleine weiterzuziehen. So what. Irgendjemand war sicher da, der dich wieder aufgebaut hat. Letztlich ist es das, was zählt. Vielleicht haben sich Freunde verabschiedet, aber dafür sind andere dazu gekommen. Vielleicht sind alte Freunde sogar wieder zu neuen Freunden geworden.
Du denkst daran, wie oft in diesem Jahr du alles hinschmeißen und Selbstversorger auf einem Bauernhof in der Wildnis werden wolltest. Zu viel Arbeit, zu viele Enttäuschungen, die Suche nach einem größeren Sinn. Und dann liest du die Antworten auf deine Weihnachtsgrüße und weißt, wie viel du richtig gemacht hast. Dass du das alles in Wirklichkeit niemals aufgeben könntest. Du denkst daran, wie viele Veränderungen dir gerade in diesen letzten Tagen des Jahres Angst gemacht haben. Entscheidungen, die du getroffen hast oder aber auch nicht, weil sie gar nicht in deiner Hand lagen. Dinge, auf die du dich eingelassen hast, obwohl du schon vorher wusstest, dass sie kein gutes Ende nehmen würden. Du hast zu viel gegrübelt, vielleicht zu viel geredet, getrunken und geraucht, es sind Tränen geflossen, du warst wütend auf dich und die Welt, du bist in Löcher hinein gefallen, aber letztlich doch immer wieder heraus geklettert. Weil es Menschen gibt, die dich an der Hand genommen und dir gezeigt haben, dass es immer wieder bergauf geht.
Später am Abend werden ein paar Freunde vorbei kommen. Eine alte, lieb gewonnene Tradition. Wir machen Punsch, irgendwer bringt Kekse und Bier mit, wir reden und lachen so lange miteinander, bis wir müde werden. Und es wird sich alles richtig anfühlen.