Frau Karrer sucht das Glück

Das wird jetzt ein bisschen peinlich, aber die Vorgeschichte dazu, wie ich einen meiner vielleicht glücklichsten Momente erlebt habe, kann ich euch natürlich nicht vorenthalten. Die ungeschönte Wahrheit ist nämlich: Vor ein paar Jahren habe ich mich gemeinsam mit meiner Begleitung, die ich hiermit anonym lasse (es genügt ja schon, wenn ich mich blamiere ;)), tatsächlich in der Lobau verirrt.

An diesem Tag war alles ein wenig verhext. Wir sind aus Versehen eine Busstation zu früh ausgestiegen und haben rückblickend betrachtet wohl eine der wenigen Stellen, die zu dieser Jahreszeit nicht im Wasser lagen, erwischt, um die Au zu betreten. Dass der Weg, den wir genommen haben, eigentlich ein toter Pfad war, haben wir auch erst nach einiger Zeit bemerkt. Und irgendwann (es ist wirklich peinlich) haben wir einfach nicht mehr aus der Lobau herausgefunden. Handynetz war auch mäßig vorhanden, Google Maps war also wenig hilfreich. Die Telefonate „nach draußen“ ebenso, denn woher sollten die wissen, wo wir sind, wenn wir es doch selbst nicht wussten. Offizielle Stellen wollten wir aber doch nicht verständigen, als Journalistin will ich meine Artikel selbst schreiben und nicht darin vorkommen. Nachdem irgendwann klar war, dass wir permanent im Kreis gegangen sind, haben wir irgendwann Taschentücher auf Sträucher gehängt, um zu wissen, dass wir hier bereits waren. Und glaubt mir, das war hilfreich. Das Lachen der Kinder am Badeteich haben wir zwar deutlich vernommen, nur hingefunden haben wir eben nicht. Aber wir haben wirklich tolle Sachen gesehen. Zum Beispiel einen wahnsinnig alten, dicken Baum, den ich im Leben nicht mehr finden würde. Davon haben wir hübsche Fotos gemacht (glaube ich) und dann wieder festgestellt, dass wir wirklich einen Ausweg finden sollten, bevor es dunkel wird. Ich verarsche euch jetzt nicht, wir waren stundenlang unterwegs und sind nur noch über die Wurzeln und Steine gestolpert, weil wir unsere Füße vor Erschöpfung schon kaum noch heben konnten.

Dieser eine magische Augenblick

Und dann war da plötzlich dieser magische Moment. Ein Moment, an dem man vor Verzweiflung nur noch weinen könnte, aus der Ferne eine kleine Lichtung entdeckt und hoffnungsvoll darauf zu läuft. Es war fast wie eine Filmkulisse. Oder, wie ich damals gesagt habe: „Ich wette, das ist jetzt das Schönste, das wir je gesehen haben, bevor wir sterben müssen.“ Sterben mussten wir zwar nicht (da war ich sehr froh), aber es war wirklich eines der schönsten Dinge, die ich je gesehen und erlebt habe. Eine Lichtung voll mit gelben Blümchen, ein ganzes Feld davon. Bunte Schmetterlinge sind überall herumgeflogen und ich höre noch heute diese atemberaubenden Stille. Alles hat gerufen: „Endlich, jetzt findet ihr hier raus!“ Oder eben: „Ihr findet hier nie wieder raus, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.“

Rausgefunden haben wir nicht. Inzwischen habe ich mir wirklich Sorgen gemacht, dass irgendjemand von uns noch so bösartig über eine Wurzel stürzt, dass wir doch…. Ich weiß nicht mal genau, wen man in so einem Fall hätte verständigen können. Die Polizei? Das Forstamt? Gut, lieber noch nicht. Nachdem wir inzwischen ganz nahe am Wasser waren, hatte ich die Idee, einfach auf die andere Seite zu schwimmen. War doch eh schon egal. Dann wären halt Kamera, Handy und alles andere hin gewesen oder in der Au geblieben, aber ich wollte endlich raus aus diesem Irrsinn. Wir haben uns dann glücklicherweise doch dagegen entschieden – und nach einer Weile doch noch den rettenden Weg gefunden, der uns trockenen Fußes aus unserem Dilemma befreit hat. Wie lange es noch bis dahin gedauert hat, weiß ich nicht mehr, aber was ich noch weiß: Dass ich mir draußen auf der Straße erst einmal ein paar Blätter aus den Haaren gezogen habe. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich ausgesehen haben wie das Waldmädchen, das jahrelang keinen Kontakt zur Außenwelt hatte. So sind wir dann kurzerhand in einem Lokal eingekehrt, in dem wir unsere Rettung mit einem Bier begießen konnten. Und sehr viel lachen. Und alle Leute verständigen, die wir aus der Au angerufen hatten, um zu fragen, was verdammt nochmal wir jetzt tun sollen.

Als ich vor Kurzem mit einer lieben Kollegin über meinen glücklichsten Moment gesprochen habe, ist mir spontan dieser Tag eingefallen. Beziehungsweise konkret diese Lichtung, die in diesem Moment einfach so perfekt war, dass ich sie gerne irgendwann wieder finden würde. Es wäre nur nicht mehr das Gleiche, denn diese glücklichen Momente kann man nicht erzwingen. Sie sind einfach da – und kurz darauf wieder Vergangenheit. Man kann nur versuchen, sie in Gedanken festzuhalten.

Besondere Momente kann man nicht erzwingen

Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich solche Momente suche. Am Wochenende zum Beispiel, am Schneeberg. Tatsächlich gab es so einen kurzen Augenblick. Wir sind gewandert und gewandert, um uns irgendwann einfach in eine Wiese zu legen. Mit Ausblick aufs Tal und auf die Fischerhütte, die ich so sehr liebe. Ich habe mein Buch ausgepackt, um endlich in Ruhe ein paar Seiten zu lesen können. Als mir aufgefallen ist, dass nichts zu hören war. Wirklich nichts. Lediglich das leise Summen irgendeines Insekts. Das war’s. Sehr schön, aber nicht vergleichbar. Mein Herz hat ein bisschen geklopft, aber es hat einfach nicht richtig höher geschlagen, so wie damals.

Und sicher gibt es da noch viele andere Momente des Glücks. Richtig glücklich war ich vor zweieinhalb Jahren in Indien. Als ich einfach blöd grinsend durch die Gegend gelaufen bin, weil ich nicht fassen konnte, wie verrückt dieses Land ist. Positiv verrückt. Überall dieses „No Problem“ zu hören, so lange, bis du selbst nichts mehr als Problem gesehen hast. Ich habe es geliebt. Oder das spontane Bier im Schanigarten, das immer wieder liebe und genieße. Diese unvorhersehbaren Dinge, die dir einfach passieren. Das richtige Gespräch mit dem richtigen Menschen zur richtigen Zeit. Das Wiedersehen mit einem lieben Menschen, den du richtig lange nicht mehr gesehen hast. Das Kribbeln im Bauch, wenn du verknallt bist. Oder in der Hochschaubahn. Oder weil du den Job oder den coolen Auftrag bekommen hast. Das Meer, das dich begrüßt und in das du spontan deine Zehen steckst, egal, wie kalt es ist. Weil es Meer ist und du Meer einfach liebst. Die Freiheit, die du spürst, wenn dir die Stadt zu Füßen liegt. Egal, welche Stadt. Wenn einfach alles so klein und unbedeutend wirkt. Die Eisskulpturen an meiner Lieblingsbucht im Winter. Wenn dir das perfekte Foto gelingt. Der perfekte Sonnenuntergang. Das Gefühl, wenn du wieder einmal irgendeine Angst überwunden hast. Flugangst, Schlangenangst, Angst vor dem Unbekannten, egal. Wenn du dich einfach unendlich befreit fühlst.

Glück ist vergänglich, aber die Erinnerung bleibt

Glück ist vergänglich, aber man kann es festhalten. Manchmal helfen Fotos. Von dieser bezaubernden Lichtung habe ich leider keines. Manchmal ist es auch einfach nur die Erinnerung. Wichtig ist, dass man sich noch nach Jahren daran erinnert, wie glücklich man in diesem einen Moment war. Warum ich euch das erzähle? Weil ich gerne wissen würde, welcher Moment euch spontan in den Sinn kommt, den ihr als einen der glücklichsten eures Lebens bezeichnen würdet. Ich meine damit die ganz kleinen Dinge. Dass ich unendlich glücklich war, als mein Neffe gesund zur Welt gekommen ist, ist logisch. Dass Menschen ihren Hochzeitstag in guter Erinnerung haben, setze ich voraus. Aber es sind nicht immer die großen Dinge, die Challenge ist, auch das Kleine wertzuschätzen. Den Anfang habe ich gemacht, jetzt freue ich mich auf eure Geschichten.

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5 Gedanken zu „Frau Karrer sucht das Glück“

  1. Weil der Text so schön zu lesen ist, mach ich mit beim Seelenstriptease …

    Es gibt eine Band, die ich sehr mag und zu deren Konzerten ich regelmäßig gehe. Manchmal gibt es diesen einen Moment, in dem der Bass durch mich hindurchfährt und mein Körper kurz dröhnt und ich mich so lebendig fühle, wie sonst selten. Genau in diesem Moment fällt alle (An)Spannung und alles Belastende von mir ab. Trotz tausender Menschen um mich herum bin ich vollkommen alleine und mit mir im Reinen und zuweilen kullern ein paar Tränchen die Wangen herunter. Und ja – in diesem Moment bin ich richtig glücklich.

    1. Jetzt lese ich gerade deinen Kommentar nochmal, sehe, dass ich nachlässigerweise gar nicht geantwortet habe und finde das, was du schreibst, total schön. Bei mir war das Sigur Ros Konzert letztes Jahr in Linz so ein Moment. Waschelnass, aber da waren für ein paar Minuten quasi nur die Band und ich. Manchmal kann man alles andere tatsächlich sehr gut ausblenden. Glück pur.

  2. Liebe Sabine Karrer !

    Es gäbe eine Menge Glücksmomente, die ich aif zählen könnte. Die häufigsten enszehen bei
    der Ausarbeitung meiner Motive mit Pinsel und Farbe. Ich betreibe ein Atelier in Stammersdorf-
    Wien21 und leite einen Kulturverein. Derzeitgibt es ein Buchprojekt, das meine Bilder mit
    meinen Texten verbindet.
    Wenn Du Interesse an Veranstaltungen hast, sag mir bescheid, dann bekommst Du Einladungen
    dazu – wäre ein weiteres Gücksmoment.

    Liebe Grüsse – Manfred Zeller

    1. Lieber Manfred, du kannst mir natürlich gerne Einladungen schicken. Ich kann nichts versprechen, aber ich schau’s mir gerne an. 😉

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