Vogelperspektive

Man sagt ja gerne, das Schönste am Verreisen sei das Nachhausekommen. Als jemand, der unter leichter bis mittelschwerer Flugangst leidet, kann ich sagen: Am schönsten ist zuerst einmal das sichere Untenankommen. Beim Fliegen ist es ja so: Für Menschen, die nicht gerade technisch versiert sind (was vermutlich auf gut zwei Drittel der Fluggäste zutrifft), ist es ein Mysterium, wie sich so ein Flugzeug in der Luft halten kann. Wir wissen doch alle, wie die ersten Flugversuche von Wagemutigen geendet haben. Der Mann, der mit einer Art Fledermausanzug völlig enthusiastisch am Eiffelturm stand, dessen Absprung auf Zelluloid festgehalten wurde – und dessen unsanften Aufprall man sich mit etwas Fantasie ausmalen konnte. Gut, ich übertreibe. Seit dieser Schwarzweiß-Aufnahme ist natürlich ein gutes Jahrhundert vergangen. Vermutlich sind seither noch einige Menschen ums Leben gekommen, als sie es dem Eiffelturm-Menschen nachmachen wollten. Irgendwann folgte dann die Hindenburg. Wir wissen auch, wie dieser Flug ausgegangen ist.

Gut, ich übertreibe wieder. Selbstverständlich haben sich Konstrukteure etwas dabei gedacht, als sie begonnen haben, Flugzeuge zu bauen. Große Maschinen, in denen heute nach der Landung kaum noch applaudiert wird. Es ist ja nur Fliegen. Quasi wie Busfahren. Dass mehr Menschen in Bussen, Autos und auf Schiffen sterben als in der Luft beziehungsweise vielmehr am Weg dorthin oder am Weg zurück auf den Boden sterben, weiß man. Aber sagt das mal jemandem, der bereits im Taxi zum Flughafen innerlich ausrastet und sich lieber die Nägel einzeln ausreißen würde als den Security-Check zu passieren.

Flugangstgebeutelte unter sich

Nach der Schuhe-aus-Gürtel-runter-WTF-Wieso-haben-Sie-eine-Schere-im-Rucksack-Prozedur geht es meistens. Mein Lieblingsflughafen ist Amsterdam-Schipol. Dort gibt es direkt bei den Gates eine kleine Sportsbar, in der man noch rauchen darf. Keinen unwürdigen, stinkenden, kleinen Glaskobel wie auf den meisten Flughäfen (gut, dort stinkt es auch, aber weniger), sondern ein sogar halbwegs gemütlicher Gastraum. Dort sind wir Nikotinabhängigen, aber vor allem wir Flugangstgebeutelten unter uns. Ein, zwei Bier und ein paar Zigaretten später fällt der Weg ins Verderben Flugzeug etwas leichter.

Die Hölle, das sind die anderen

Drinnen jedoch beginnt erst das eigentliche Drama. Viel zu enge Sitzreihen, viel zu unsympathische Mitreisende, die einem den Sauerstoff weg atmen. Sollte das Unausweichliche passieren, mit diesen Leuten möchte ich meine letzten Minuten nicht verbringen. Aber das kann man sich nicht aussuchen, ist im Flugpreis inbegriffen. Danke. Das Handgepäck mit viel Geduld und vielen Verrenkungen verstaut (meistens in einem der Fächer über den anderen Sitzen, weil die Nachbarn links und rechts ihren Taschen und Sackerln schon längst einen Platz im Fach erkämpft haben). Angeschnallt, aufrecht sitzend, den Sicherheitstipps der Flugbegleiter lauschend,  den Notausgang anvisierend, die zittrigen Finger um die Seiten des Duty-Free-Magazins geschlungen. Klar, Shoppen hilft bekanntlich gegen Flugangst.

Ein Fensterplatz ist übrigens auch wirkungslos. Die nette Reisebegleitung hatte ihn mir freundlicherweise überlassen. „Schau mal raus, mach ein paar Fotos, das ist schön!“ – „Nein.“ Die Hände verschränkt, den Blick starr vom Wolkenmeer draußen abgewandt und ins Flugzeuginnere gerichtet. Eins, zwei… Am dritten Sitz, dem Gangplatz, sitzt ein Mann mittleren Alters, dem kein Lächeln auskommt. Das wird sich in den kommenden eineinhalb Stunden bis Wien nicht ändern. Würde er plötzlich aufspringen und rufen, er habe eine Waffe und wir seien jetzt alle seine Geiseln: Ich könnte sagen, ich wusste es. Meiner Begleitung erzähle ich nichts davon. Später am Wiener Flughafen wird sie mir von sich aus das Gleiche erzählen und wir werden darüber lachen. Ist ja nichts passiert. Vielleicht hatten ihm selbst die Knie geschlottert und er hatte es sich daher anders überlegt. Immerhin stand er nicht einmal auf, als wir anderen die enge, unheimliche Toilette aufsuchen mussten. Über jemanden, der vielleicht im nächsten Moment „Bombe!“ schreien konnte, drüber zu klettern – es gibt Witzigeres. Kopfkino. Böse Sache.

Lichtermeer der Großstadt

Einen Kaffee, ein Schokonaps (die Bordverpflegung, danke) und noch ein Bier später ist es draußen dunkel geworden. „Magst du nicht doch mal einen Blick rauswerfen?“ Ich würde lieber den unsympathischen Kerl rauswerfen, aber okay, dann eben einen Blick. Landeanflug auf Wien. Vogelperspektive. Nie zuvor hat sich mir meine Stadt in solcher Pracht präsentiert. Die Felder und Hügel in der Peripherie sind nicht zu erkennen, dafür ist es das Lichtermeer der Großstadt. Ich meine, das Riesenrad und den Donauturm zu erkennen. Als wir weiter absinken, zeichnen sich bereits die Landebahnen ab. Es stimmt, runter kommen sie alle.

Auch wir kommen runter. Landen in dieser wunderschönen Stadt, die ich nach ein paar Tagen Amsterdam fast schon ein wenig vermisst habe. Wien. Mit all seinen Grantlern, Gschichtldruckern, Raunzern, Charmebolzen, Schmähführern, Spritzweintrinkern. Wenn das die Belohnung für all die Strapazen der letzten Stunden ist… dann hätte mir das besser schon vorher jemand gesagt. 😉

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