Ich hab mich verliebt! Und zwar in ein ganz wunderbares Land: Indien. Konkret in den Bundesstaat Rajasthan. Frisch dem Flugzeug entstiegen (so frisch man nach rund 24-stündiger Anreise eben sein kann), nach der mühsamen Kontrolle am Migrations-Schalter und dem Warten am Gepäckband flutschen wir hinaus in die große Vorhalle. Dann noch einmal raus in die fast 40 Grad heiße Sauna namens Delhi. Flugs ins Hotel, frisch machen, Abendessen. Später vor dem Hotel stehen. Einfach auf die Straße schauen. In die Stadt, die scheinbar niemals schläft. Mitten ins Leben. An der Kreuzung warten die Autos darauf, dass sie in die Nacht entlassen werden. Unter dem Schein der mageren Straßenbeleuchtung vereinen sich feuchte Luft und aufgeheiztes Blech zu einem Dampfgebilde und wandern in die Atmosphäre. Langsam schaue ich daran hoch, sauge alles auf, rieche die stickige Luft, sehe die hektischen Menschen, die doch nicht hektisch wirken. Nehme einen Zug aus meiner Zigarette und lächle. Ich bin angekommen.
Zwei Wochen lang grinse ich unentwegt. Grinsend laufe ich durchs Taj Mahal. Grinsend laufe ich durch Jaipur, Jodhpur, Udaipur und wie sie alle heißen. Grinsend beobachte ich, wie Autos um stur auf der Straße herumstehende Kühe herumfahren. Grinsend zeichne ich innerlich jedes „No problem!“ auf, das ich höre. Für später. Grinsend hüpfe ich an jedem Tag spätestens um sieben Uhr aus dem Bett. Und grinsend lege ich mich niemals vor Mitternacht nieder.
15 Tage Rajasthan
Wir sind 15 Tage lang unterwegs. Praktisch jeden Tag in einer neuen Stadt. Immer unter Menschen. An jedem Morgen beginnt ein neues Abenteuer. Ich brauche ein wenig, bis ich voll und ganz in Indien ankomme. So richtig bewusst wird mir das nach einer Woche, als sich ein kleiner Teil der Reisegruppe schon wieder auf den Weg nach Hause macht. Wir dagegen ziehen weiter. Wir düsen über holprige Landstraßen, die uns das Nachholen des fehlenden Schlafes im Bus schwer machen. Eigentlich düsen wir nicht, wir zuckeln gemütlich dahin. Mehr lassen der Zustand der Straßen und der Verkehr selten zu. Entschleunigung durch Schlaglöcher. Aus Toilettenpausen (unser Reiseleiter weiß wirklich immer, wo es saubere WCs gibt) werden rasch „Buschpausen“. Nur musst du die „guten Büsche“ (Zitat Reiseleiter) halt suchen und von der Weide nebenan schauen dir die Rinder und Schafe zu. Natur pur. Irgendwann erreichen wir das nächste Ziel, halten in einer neuen Stadt, die es zu entdecken gilt, lassen uns in die Menge spülen. Wir sind mittendrin, sehen Farben, hören Geräusche, nehmen Gerüche wahr, die uns so oft fremd sind. Zumindest in dieser Intensität. Bunt statt Grau in Grau. Hupen, Lachen, lautes Reden, auch mal ein Muhen – einfach Leben. „Manchmal hast du so einen leiwanden Geruch in der Nase, dann gehst du einen Schritt weiter und willst dich übergeben“, sagt M. Auch das ist Indien.
Nordindien ist unaufgeräumt, laut, stressig – aber es ist lebendig und wunderbar
Das Land hat sicher tausende Fehler. Ich übersehe sie nicht, aber ich akzeptiere sie. So ist Verliebtsein doch, nicht wahr? Indien ist unaufgeräumt. Es ist Arm neben Reich. Es ist sicher kein Land der großen Frauenrechte. Es ist so vieles und es ist so vieles nicht. Es leben zu viele Menschen auf zu engem Raum. Es ist im Grunde unheimlich stressig. Aber gleichzeitig steht in vielen Momenten die Zeit still. Ein Kinderlachen. Eine Kuh, die mitten auf der Kreuzung ihr Kalb säugt. Eine Hindu-Zeremonie. Ein Streifzug durch den schönsten Tempel, den ich jemals gesehen habe. Für dessen Errichtung (wenn ich mich recht erinnere) 19 Generationen gesorgt haben. Ein Moment des Innehaltens am heiligen Pushkar-See. Bunte Holztüren. Bunte Fresken. Ein paar Minuten im Amber Fort. Alleine stehe ich in einem dunklen Raum, höre einen Flötenspieler langsam näher kommen. Lausche und genieße. Der Blick von oben auf die blauen Dächer von Jodhpur. Die Stunden im Reisebus, in denen ich nur Musik höre, plaudere und lache, während draußen Land und Leute an mir vorbeiziehen. Das Aufwachen in meinem Hotelbett, als die ersten Sonnenstrahlen durch das bunte Fenster leuchten und mein Zimmer zur „silent Disco“ machen. Ein Spaziergang durch die engen Gassen eines nach 22 Uhr wie ausgestorben wirkenden Dorfes. Nur wir, zwei, drei Kühe und ein paar Tee trinkende Männer vor einem Kiosk. Friedlich schlafende Straßenhunde. Affen, Schafe, Esel, Hühner, Geckos, das ganze Getier. Der Sternenhimmel über der Wüste. Der Mond in Indien ist derselbe wie zu Hause und doch ein anderer.
Nach dieser Reise kenne ich keine Angst mehr
Gleichzeitig jagt mir dieses wunderbare Land einen Schrecken nach dem anderen ein. Der erste Moment, in dem ich eine Straße überqueren muss. Eine breite Straße mit vielleicht fünf oder sechs Spuren. Praktisch sind es mindestens neun oder zehn – Fahrspuren sind hier eher eine vage Richtlinie denn in Beton gemeißelt. Das Moped, das direkt auf mich zu rast, um mich dann doch elegant zu um- statt zu überfahren. Stadtspaziergänge mit schweißnassen Händen und einem Adrenalinspiegel, der seinesgleichen sucht. Aufregende Rikscha- und Tuktuk-Fahrten, auf denen ich meine Kamera fest umklammere, während ich den Auslöser drücke. „Wir sind schneller!“, höre ich mich auf der Tonspur eines meiner Videos laut lachend den Freunden neben uns zurufen. „Ohgottohgott, wir werden sterben!“ auf einem anderen. Das Reiten auf richtig großen Tieren, während ich zu Hause nicht einmal auf ein Pferd klettern würde. Ängste sind zum Überwinden da, das lernst du in Indien schnell. Der unheimliche Mann, der direkt vor dem meinem Appartement mit einem Gewehr herum ballert, ist längst eine lustige Urlaubsanekdote. An die halbe Stunde, in der ich es kaum wage, Luft zu holen oder mich zu bewegen, in der ich mir die schlimmsten Dinge ausmale, erinnere ich mich nun grinsend. Und an den glücklichen Moment, in dem das Zimmertelefon klingelt, weil man mich beim Frühstück vermisst. Dass die Schüsse Affen vertreiben sollen, hätte man mir einmal vorher sagen sollen. Spätestens jetzt macht mir gar nichts mehr Angst.
Zurück in Delhi: im Staub der Millionenstadt
An unserem letzten Abend, bevor wir von Delhi zurück nach Deutschland beziehungsweise weiter nach Österreich reisen, stürzen wir uns noch einmal in das Getümmel. Wir überqueren eine Straße nach der anderen, steigen über Schlaglöcher und durch die Hitze aufgesprengten Beton, lächeln fremde Menschen an, kaufen Zigaretten am Kiosk und indischen Rum beim Spirituosenmann, setzen uns auf einen Masala-Veggie-Burger ins Fast-Food-Restaurant, finden ein Kino, haben leider keine Zeit für ein Abenteuer made in Bollywood, wir sehen, riechen, hören, schmecken. Bewusst nehmen wir noch einmal alles auf, was um uns ist. Wieder ist es Abend, wieder verdampft die feuchte Luft am Blech der Autos, vermischt sich mit dem Staub der Millionenstadt und steigt unter dem Licht einer Straßenlaterne auf.
Wenig später sitzen wir am Steinboden der Hotelterrasse. Wir trinken Rotwein, hören indische Musik aus dem Handy, blicken auf die Dächer und Lichter zu unseren Füßen. Über uns der Mond und (exakt drei) Sterne, unter uns trotz später Stunde noch buntes Treiben. Im Morgengrauen werden wir zum Flughafen gebracht. Verschlafen schaue ich aus dem Fenster und kann nicht glauben, dass schon zwei Wochen vergangen sind. Aber mit jedem Kilometer, den wir uns von Indien entfernen, wird mir klarer, dass das mit uns nicht vorbei ist. Dass es erst angefangen hat. „Schau dir mal den Süden an“, rät mir ein Bekannter, als ich 24 Stunden später zurück im herbstlich-trostlosen, grau-in-grauen, nasskalten Wien ankomme. Und schon beginne ich wieder zu träumen…
Ein paar Fotostrecken von der Reise meines Lebens gibt’s hier: sabinekarrer.at/fotos/nordindien
Was ein „umgekehrter Kulturschock“ ist und was das mit Indien zu tun hat, lest ihr hier: stadtlebenwien.at/aus-einem-fernen-land-der-umgekehrte-kulturschock
ich mag deine Schreibweise! kurzweilig, persönlich, lustig aber auch bewegend! toller Bericht!
Danke, ich freu mich sehr! 🙂
Immer mal wieder schön, in die Bilder reinzuschauen. Grüße vom Reisegefährten Manfred aus Ulm
Schön, von dir zu lesen, Manfred. 🙂 Ich schau mir die Fotos auch immer wieder gerne an. Unglaublich, dass das schon wieder so lange her ist…