Diese Sehnsucht nach Ruhe. Nach einem Ort, an dem die Seele endlich entspannen kann. Kennt ihr das? Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich älter werde. Sicher auch mit dem permanenten Stress, der auf mir lastet. Funktionieren zu müssen, selbst wenn man am liebsten einfach im Bett bleiben würde. Arbeitstage von früh bis (oft sehr) spät. Der ewig brüllende Nachbar, der mit jedem Lebensjahr mehr Kraft in seine Stimme legt anstatt endlich leisere Töne anzuschlagen.
Dabei lebe ich ohnehin in einer Ruhezone: am Stadtrand, inmitten von Natur. Aber ich habe das Gefühl, egal, wohin ich gehe, es sind immer zu viele Menschen um mich herum. Ich mag die Energie der Großstadt, ich mag laute Lokal, wenn auch nicht immer, ich liebe es, unterwegs zu sein und mich bringt es zum Grinsen, wie die Leute in alle möglichen Richtung strömen und sich dabei mitunter recht seltsam verhalten. Nur gibt mir das im Moment weniger als normalerweise.
Wann immer es möglich ist, flüchte ich derzeit an Orte, die Ruhe versprechen. Friedhöfe mag ich schon immer sehr gerne. Die meisten Leute dort erzählen ihre Geschichten nur im Stummen. Da kann man „zuhören“, man muss es aber nicht. Beim Spaziergang über den Biedermeier-Friedhof St. Marx vor ein paar Tagen haben mir unzählige Fliedersträucher eine Freude bereitet, weil sie tatsächlich noch geblüht haben. Nur ich, alte Gräber, der Flieder und ein paar wenige Spaziergänger – eine wirklich gute Ruhezone, wenn man davon absieht, dass die Autobahn direkt daran vorbei führt. Lediglich: Von meinem Wohnort aus ist St. Marx fast eine Stunde entfernt – und so motivierend die Aussicht auf Stille bei der Hinfahrt war, so rasch war der Stress zurück, sobald ich wieder in die Straßenbahn gestiegen bin. (Hab ich schon mal erwähnt, wie wenig ich verstehe, dass Menschen während der Fahrt durch wirklich sehr volle Waggons wandern?) Da ist mir plötzlich bewusst geworden, dass der Wetterbericht auch andere außer mir nicht davon abhält, das Haus zu verlassen.
Natürlich gibt es halbwegs stille Orte in meiner direkten Nachbarschaft. Zum Beispiel einen Pfad auf der Donauinsel, der zwischen Büschen und Bäumen am Wasser entlang führt. Der einem zumindest für die Dauer eines Spaziergangs den Eindruck vermittelt, man befinde sich nicht wirklich in der Großstadt. Eine kleine Bucht, die ich inzwischen leider nur noch selten für mich alleine habe. Oder die Lobau. Nur: Diese Plätze kenne ich alle schon und bei schönem Wetter entdecken die andere eben auch für sich. So ist das in der Stadt. Aber in dem Alter, in dem ich über ein abgelegenes Häuschen am Land nachdenke, bin ich noch lange nicht. Dort würde ich Wien außerdem sehr bald vermissen.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als weitere Ruheplätze in der Stadt zu finden. Und dort so viel Kraft zu schöpfen, bis ich mich wieder über die Lebendigkeit der Großstadt freuen kann. Vielleicht geht mir aber auch nur der kleine Wintereinbruch der letzten Tage und Wochen auf die Nerven. Die tiefhängenden Wolken, das grau-graue Wetter, die Kälte, der Nieselregen… Vielleicht blühe ich wieder auf, sobald man endlich im Schanigarten sitzen oder in irgendeiner Wiese liegen kann.
Manchmal hilft es natürlich, die Stadt für eine Weile zu verlassen, um sie wieder richtig zu schätzen. Der nächste Urlaub liegt nur leider verhältnismäßig weit in der Zukunft. Die Aussicht an eine Reise in wenig besiedeltes Gebiet könnte mich gerade richtig glücklich machen. Island und Norwegen, mein ewiger Traum. Durch die Landschaft laufen und die endlose Weite genießen. Schafe streicheln. Trolle und Elfen suchen. Das Autofenster weit runterkurbeln und laut zu den Songs von Sigur Ros, diesen absolut genialen Musikern aus Island, mitgrölen. Also nicht, dass man zu deren Musik mitgrölen könnte, aber ihr wisst sicher, was ich meine. 😉 Um meinet- und meiner Mitmenschen willen sollte ich mir damit wahrscheinlich nicht allzu viel Zeit lassen… Oder ich ziehe doch aufs Land, aber da reden wir in ein paar Jahren weiter.
☹️❤❤❤
Der Gedanke hat was für sich. Ich würde nur statt Island und Norwegen Weinviertel einsetzen.
Also zumindest als Überbrückung, bis Norwegen und/oder Island klappt, wäre das gar keine schlechte Idee.
Ich war mit meiner Mama auch vorgestern dort 🙂 Das ist jedes Jahr um die Fliederzeit ein einzigartiges Erlebnis… Lieber Gruss
Der Friedhof ist immer eine Reise wert, aber zu dieser Zeit besonders, ja.
Wunderbarer Text! Als ich noch in Wien gewohnt hatte, habe ich stets dasselbe Problem gehabt! Wien ist laut, überfüllt, überall gibt es Menschen, und praktisch hast du keine Möglichkeit einfach mal für dich alleine zu sein!
Als Waldviertler, der sozusagen am Waldrand aufgewachsen ist und Stille – und vor allem Einsamkeit auf Zeit – haben konnte, so oft es nötig war, war Wien eigentlich nie der richtige Ort für mich! Die Rückzugsorte in Wien sind temporär, oder eben auch schon wieder so überlaufen, dass sie eben nicht die nötige Ruhe, Entspannung und Kontemplation geboten haben, die ich im Waldviertel gefunden habe!
Ja, ich breche eine Lanze fürs Land, und ich breche eine Lanze fürs Waldviertel. Klar isses nicht einfach, wenn man in Wien arbeitet oder stadtgewöhnt ist. Andererseits kenne ich genug Städter, die aufs Land gezogen sind, und nie mehr wieder in die Stadt zurück möchten! Probiere es aus, vielleicht wird es auch Dir gefallen! Mit allen Vor- und Nachteilen!