Refugees in Wien: Nachts am Hauptbahnhof

Mein Gewissen meldet sich unerwartet laut bei mir: Fahr zum Hauptbahnhof, vielleicht kannst du etwas tun. Dort kommen immer wieder Züge mit Flüchtlingen an. Weniger zwar als am Westbahnhof, aber eben auch. Am Westbahnhof, höre ich, werden zu diesem Zeitpunkt gerade keine weiteren Spenden und Freiwillige benötigt. Ich bin unsicher, ob ich überhaupt helfen kann oder nur anderen im Weg stehe. Vielleicht sind dort auch schon genug helfende Hände. Aber ich fahre am Abend einfach los. Notfalls kann ich ja wieder umdrehen, denke ich.

Die Seite trainofhope informiert darüber, was wo gebraucht wird, wann neue Züge ankommen usw. Sie wird ständig aktualisiert. Ich lese, man freue sich über stilles Wasser, Äpfel und Müsli-Riegel. Zehn Minuten vor Ladenschluss falle ich in meiner Billa-Filiale ein, besorge Wasser und Riegel. Unterwegs halte ich bei einer Nachtapotheke, um ein paar Notfallmedikamente zu kaufen. Stehe kurz darauf am Bahnhof und bin schier überwältigt von den vielen, vor allem jungen Menschen, die hier alle ankommenden Schutzsuchenden versorgen. Einem der Helfer drücke ich die mitgebrachten Sachen in die Hand.

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Danach stehe ich tatsächlich ein wenig unbeholfen herum. Werde aber sehr rasch – so wie zig andere – kurz laut, als ein rassistischer Provokateur (oder ein provozierender Rassist, wie man es nimmt) laut gegen „de Asylanten“ hetzt, die „de des Sozialsystem ausnutzen“. Dass das nicht der Fall ist und die meisten hier nicht einmal in Österreich bleiben wollen, interessiert ihn nicht weiter. Dafür dürfte ihm taugen, dass mehrere Kameras auf ihn gerichtet sind, mehrmals kommt er nochmal zurück. Natürlich schleudert er auch das typische FPÖ-Argument „Und wer hilft den österreichischen(!) Obdachlosen“ hinaus. Da hat er Pech, denn natürlich geben die Helfer auch obdachlosen Menschen etwas von den Spenden ab. Übrigens ohne vorher deren Staatsbürgerschaftsnachweis zu checken.

Zwei Burschen, vermutlich beide noch keine 14, schlafen zusammengekauert in einer Ecke, so erschöpft sind sie.

Ein junger Typ mit hasserfüllter Fratze nützt seine Chance und schreit irgendetwas mit „…allen den Kopf abschneiden…“. Gut, dass die meisten hier kein Deutsch sprechen, denke ich mir. Was für ein Kontrast zu „Refugees welcome!“. Aus Versehen spuckt meine Facebok-App kurz darauf ein Strache-Posting aus. „Wo sind denn die ganzen Frauen und Kinder?!“, hetzt er mit einem Foto aus Ungarn(?), während ich gerade inmitten von Kindern, Babies, Frauen, Männern und Jugendlichen stehe – alle vollkommen übermüdet. Zwei Burschen, vermutlich beide noch keine 14, schlafen zusammengekauert in einer Ecke. Ein Jugendlicher grinst mich an, ich grinse zurück. Er zeigt mir „Daumen hoch“. Ich deute das so, dass er sich willkommen fühlt – das freut mich und vermutlich alle Helfer in diesem Teil der Bahnhofshalle.

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Als sich der Vater weigerte, schossen ihm die Terroristen drei Mal in den Kopf. Er sagt, er arbeitet lieber 24 Stunden täglich in Deutschland als Hilfsarbeiter, als wieder in den Irak zu gehen.

Eine liebe Bekannte von mir stößt zu uns. Sie hat schon am Vorabend stundenlang am Westbahnhof Arabisch-Deutsch übersetzt, jetzt schaut sie am Hauptbahnhof vorbei. Man kann richtig sehen, wie froh die Menschen sind, dass sie mal mit jemandem reden können, der sie versteht. Ein Mann um die 30 erzählt, er sei aus einem Ort im Irak geflüchtet, in dem der IS inzwischen die Macht ergriffen hat. Sein Vater sollte mit den Terroristen kooperieren. Als er sich weigerte, schossen sie ihm drei Mal in den Kopf. Er selbst musste flüchten, was ihm glücklicherweise gelungen ist. Er arbeitet lieber 24 Stunden täglich in Deutschland als Hilfsarbeiter, als wieder in den Irak zu gehen, sagt er. Spätestens bei dieser Geschichte treibt es mir die Tränen in die Augen. Ich gehe vor die Türe und rauche eine. Reiß dich z’am, es geht nicht um dich, denke ich an die Worte eines Bekannten. Es gelingt mir mehr oder weniger gut.

Draußen lerne ich ein paar junge Leute kennen, die ebenfalls mithelfen wollen. Ein Handy piept. Eine Sammel-SMS berichtet, am Budapester Bahnhof seien inzwischen rechte Gruppierungen eingetroffen oder am Weg dorthin. Tausende Flüchtlinge müssen Tage und Nächte vor dem Gebäude verbringen, weil sie nicht zu den Zügen gelassen werden – man darf sich wohl berechtigt Sorgen machen.

Er will nicht von hier weg, sagt er immer wieder, er hat Angst vor der Polizei.

Zurück in der Wartehalle erzählt mir ein junger Mann aus Pakistan, er werde in Wien auf seine Freunde warten. Er durfte noch in den Zug, sie mussten in Ungarn bleiben. Der Mann spricht sehr gut Englisch und ich erkläre ihm immer wieder, er solle sich bitte zum Westbahnhof bringen lassen, Freiwillige bringen immer wieder Menschen mit ihren Privatautos dorthin. Er kann dort schlafen und duschen, heißt es. Doch er will nicht von hier weg, sagt er immer wieder, er hat Angst vor der Polizei. Ich flehe ihn fast schon an, würde auch für ihn fragen, aber er bleibt hartnäckig. Ich selbst kann ihm keinen Schlafplatz anbieten und zwingen kann ich ihn ebenso wenig. Zum Abschied wünsche ich ihm alles Glück der Welt. Ich hoffe, seine Freunde schaffen es bald raus aus Budapest.

Plötzlich applaudieren die Menschen in der Wartehalle. Ein junger Mann hält ein Schild hoch: „Danke für eure Unterstützung!“ Ich kann mich dem nur anschließen, es ist unbeschreiblich, was hier geleistet wird.

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