Wer schon mal einen Samstagabend in der Bettelalm (oder jedem anderen Club jenseits der Ein-Promille-Grenze) verbracht hat, kennt das alte Spiel: Die Typen stehen in Reih‘ und Glied an der Bar, mustern die ankommenden (Single-)Damen und markieren voreinander den harten Kerl: Wer muss an der Türe nicht warten, weil er den Türsteher kennt und/oder prominent ist? Wer reißt die geilsten Weiber auf? Wer fällt in seinem Designer-Polo oder durch alberne Tanzeinlagen am meisten auf? Wer hat den tollsten Tisch neben der Bar, weil er dem Chefkellner immer ein gutes Trinkgeld gibt? Kurz: Wer hat den Größten?
Wobei ich der Bettelalm nicht unrecht tun will: Schlimmeres habe ich in einer Schickimicki-Cocktailbar über den Dächern Wiens erlebt. Eine Milieustudie sondergleichen. Da zücken die reichen Russen – und nicht nur die – ihre Geldbündel mit Geldklammer und beeindrucken so manche Dame direkt mit dem, was sie haben (oder zu haben vorgeben). Eigentlich erschreckend, wie sich die Weibchen um solche Kerle scharen. Edelprostitution at it’s best, sag‘ ich nur. Unter Spaß verstehe ich etwas anderes. Abgesehen davon kann ich im Gegensatz zu vielen meiner Geschlechtsgenossinnen einen Prada-Anzug sowieso nicht von einem von der Stange unterscheiden. Und mich beeindruckt es maximal, wenn an so einem Ort ein Pirat oder Cowboy durch die Türe marschiert. Sich ein Tätowierter und Gepiercter nackt am Türsteher vorbei schummelt. Oder einer sein völlig überteuertes Bier mit mir teilt, während wir über die Anwesenden lästern und er mir einen wirklich guten Grund liefert, warum er ausgerechnet hier gelandet ist. (Ich hab einen guten Grund, ich befinde mich auf Feldforschung.)
Brunftige Hirschköpfe
Paarungszeit geht aber auch anders. Anstatt auszugehen und in den frühen Morgenstunden betrunken in der Bettelalm zu landen, habe ich am letzten Samstagabend fast drei Stunden lang brünftigen Hirschen im Nationalpark Donauauen gelauscht. In einem einfachen Holzboot, lediglich vom Schein des Mondes beleuchtet (Himmel, das war soooo romantisch, man sollte so etwas wirklich nicht ohne jemanden machen, an den man sich anschmiegen kann und will…). Während ich da so gesessen bin und den Hirschen beim Balzen zugehört habe (und mir den Mann meines Herzens an meiner Seite gewünscht habe), ist mir eines schlagartig klar geworden: Der Nationalpark ist für seine Bewohner nichts anderes als eine riesige Bettelalm, eine überdimensionale Single-Spielwiese. Wer hat das größte Geweih? Wer kann am lautesten röhren? Wer kriegt am Ende die beliebteste Hirschkuh im Wald?
Plötzlich ist vor meinem inneren Auge folgendes Bild aufgetaucht: An der Au-Schank sitzt ein Hirsch neben dem anderen, lässt sich Bier ausschenken, fasst der Hirschkuh, die sich gerade durch die Menge zum Hirschkuh-Klo drängt, an den Hintern, schlägt sich mit seinen Hufen gegen die Brust und sagt zu sich selbst: „Mann, bist du gut!“ (Und mustert heimlich, ob das neben ihm wirklich ein 20-Ender ist oder ob der konkurrierende Hirsch möglicherweise nachgeholfen hat.) Selbstverständlich hängen an den Wänden der bäuerlichen Au-Disco Menschenköpfe an Stelle von Geweihen. Jägermeister wird zwar auch hier getrunken, jedoch mit ganz anderer Bedeutung.
Aber wie es so ist, wird auch am Ende der größten Singleparty im Au-Gebiet der einen oder anderen Kuh klar geworden sein, dass der tollste Hirsch nicht immer der ist, der am lautesten röhrt. Das ist beruhigend.
© Lilifox – Fotolia.com