Ein Plädoyer für abgetrennte Raucherbereiche, der Psyche wegen …

Wer im Laufe seines Lebens schon oft genug mit Rassisten, Populisten, Hatern gestritten hat, in sozialen Medien und im echten Leben, sich den ganzen Scheiß manchmal sogar einfach nur zwangsweise angehört hat, ohne einzugreifen, weil er eigentlich seine Ruhe haben und gar nicht streiten wollte, der lernt irgendwann, dass er sich auch selbst schützen muss. Eine Möglichkeit habe ich heute gefunden.

Freitagnachmittag beim Ströck. Ein Freund zeigt mir seine Urlaubsfotos. Er war in Südafrika, ich nicht. Abgesehen davon haben wir uns lange nicht mehr gesehen. Ich habe sowieso tagelang nichts anderes gemacht, als von Früh bis spät zu arbeiten. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich inzwischen die Kaffeehäferln der ganzen Woche, Unmengen an Zeitungen, Magazin, Mitschriften, Block, Stifte, jede Menge Papierkram, die Kamera liegt auch noch herum. Zum Wegräumen bin ich zuletzt kaum noch gekommen. Ich bin müde und meine Nerven liegen einigermaßen blank. Ich habe mich entsprechend auf zwei Stunden Auszeit gefreut.

Irgendwann beginnt eine Pensionisten am Nebentisch eine lautstarke Diskussion über Flüchtlinge. Mit dem Mann am Nebentisch. Wir gegenüber. Zuerst ignorieren wir es, bis es M. reicht und er beginnt, sich einzumischen. Er macht das gut. Dass er im Brotberuf Kommunikationstrainer ist und diese Fähigkeit sehr gut beherrscht, hilft allerdings nur wenig. Sie schimpft unverdrossen weiter gegen „den bösen Flüchtling“, der ihrer Meinung nach alles hinten reingeschoben bekommt, aber sie bekomme gar nichts. Ich kenne ihre private Situation nicht, aber wenn ich stundenlang bei Kaffee und Kuchen im Café sitzen kann, dann kann es mir so schlecht auch wieder nicht gehen. Ich kenne zumindest Leute, die sich das nicht leisten können. Zum Beispiel viele von denen, gegen sie unentwegt wettert. Sie ist resistent gegen jedes einzelne Argument. M. versucht es trotzdem tapfer.

„Aber die arbeiten hier nicht mal!“ – „Dürfen sie ja nicht, die meisten würden eh gerne.“
„Die integrieren sich nicht!“ – „Arbeit wäre hier zum Beispiel ein wesentlicher Faktor, dürfen sie aber immer noch nicht. Außerdem kennen wir selbst genügend Menschen, die sich sehr wohl integrieren wollen und dafür verdammt viel zu. Auch mit unserer Unterstützung übrigens.“
„Die kriegen alles in den Hintern gesteckt. Alles!“ – „Das stimmt doch bitte nicht.“
„Meine Eltern haben es sich im Krieg nicht leisten können, zu flüchten!“ – „Wir kennen selbst Leute, deren Angehörige damals zum Beispiel selbst geflüchtet sind.“
„Die sollen zurück gehen und dort was machen!“ – „Wohin sollen sie denn gehen? Dorthin, wo so viel zerstört wurde, wo es teilweise gar nichts mehr gibt?“
„Die haben hier noch nie gearbeitet!“ – „Die haben aber auch gearbeitet und können doch verdammt nochmal nichts dafür, dass in ihrer Heimat Krieg ist, scheiße nochmal. Wollen Sie tauschen?“
„Ich hab damals nicht studieren können. Und überhaupt, die Jungen bekommen auch alles hinten rein geschoben!“ – „Seien sie doch froh, dass es heute anders ist, dass es vielen besser geht, dass es zum Beispiel auch ein Sozialsystem gibt, das einigermaßen funktioniert.“ – „Aber! Ich!!“
„Der andere Kulturkreis!“ – „Schauen Sie, ich war zum Beispiel gerade in Südafrika…“ – „Geh hören Sie mir auf mit Afrika, da will ich gar nicht hin!“

Es ist sinnlos.

Ich sitze die meiste Zeit daneben, mit ziemlich hohem Puls, und lasse meinen Freund reden. Er macht das wirklich super, auch wenn er sein Gesicht dabei immer röter anläuft. Ich frage ihn, ob ich ihn kurz alleine lassen kann und gehe vor die Tür eine rauchen. Kurz mal runterkommen. Zurück am Tisch hat sich inzwischen gar nichts bewegt. Ich höre noch ein paar Minuten zu, dann schaue ich sie an und sage sehr bestimmt: „So, das geht jetzt schon lange genug. Ich möchte mir jetzt weiter die Urlaubsfotos meines Freundes zeigen lassen, brechen wir also bitte auf der Stelle ab und lassen Sie uns hier weiter unsere Freizeit genießen. Deswegen sind wir nämlich hier.“

Sie stört das nicht und sie zetert munter weiter und weiter und weiter. Es ist wie ein ausländerfeindlicher Dauer-Tinitus im Ohr.

Wir packen unsere Sachen zusammen, wechseln in den Raucherbereich und ich bin noch nie zuvor so froh gewesen, dass der dank der aktuellen Regelung mit einer Glaswand abgetrennt ist. Man muss wissen, wenn man verloren hat. Das einzige, das es hier für uns zu gewinnen gab: Uns unsere kleine Auszeit zurück zu erkämpfen. Wenigstens das hat funktioniert, wir brauchen unsere Energie noch. Etwa auch für Diskussionen, die sinnvoller sind als die in den letzten 15 bis 20 Minuten geführte. Bitte lasst uns die abgetrennten Raucherbereiche, in solchen Momenten sind sie Gold wert …

 

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