Das kleine Fragezeichen und das große Nichts

„Xxxyyyzzzzz!!!!!!!“, schreit sie. Besser gesagt: Schreibt sie. Ich zucke hinter meinem MacBook sitzend zusammen. Fühle mich fast ein wenig bedroht. Ich stelle mir vor, wie sie nicht nur diese paar Worte in ihre Tastatur haut, sondern wie sie mich dabei auch noch anbrüllt. Warum macht sie das? Finden ihre Worte kein Gehör, wenn sie mit nur einem Rufzeichen oder gar mit einem Punkt enden? Wir kennen das bevorzugt aus rechtslastigen Facebook-Gruppen. Aus den Kommentarspalten diverser Medien. Aber auch anderswo begegnet uns das immer wieder. „!!!einseinself“, veralbern wir diese Personen dann gerne in unseren Antworten und Nonmentions. „!!!einseinself“, weil sie vor lauter Wut/Zorn/whatever so viele Rufzeichen in die Tastatur hämmern, dass irgendwann der Finger von der Shift-Taste abrutscht und „11111“ stehen bleibt. „!!!!!1111“, also. Sieht lächerlich aus und ist es auch.

Reden ohne Punkt und Komma. Kommt vor. Ich hoffe dann immer, dass mich jemand höflich darauf aufmerksam macht. Irgendwann folgt aber doch ein Punkt, spätestens dann, wenn ich Luft holen muss. Lieber ist es mir allerdings, wenn jeder Satz gleich ordentlich mit einem Punkt endet. Und wenn die Kommas dazwischen sogar noch korrekt gesetzt wurden. Auch das kennen wir vor allem aus einschlägigen Foren: Eine nicht enden wollende Wurscht an Text, dazwischen keine Satzzeichen, gepaart vielleicht auch noch mit ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehlern oft fast unmöglich zu lesen. Die Abneigung von Menschen gegen Komma- und Punktsetzung ist mir unerklärlich. Ein Punkt ist jedenfalls die entspannte Variante, eine Satz zu beenden. Sachlich, bestimmt, direkt. So kann man Gespräche führen. Da bleibt keine Frage offen. Zumindest in der Theorie.

Auf der Computertastatur teilt sich das Fragezeichen, die Außenseiterin, sogar eine Taste mit dem scharfen „ß“.  Klarer könnten Computerhersteller gar nicht zeigen, was sie von ihm halten.

Man kann natürlich auch Punktsätze beliebig interpretieren. Am Ende steht dann eine Frage, wo eigentlich eine Aussage war. Die man wiederum hinterfragen könnte. Mit ausgeschriebenem Fragezeichen, nicht mit gedachtem. Ausgeschriebene und ausgesprochene Fragezeichen finde ich besonders wichtig. Weil sie herauszufinden wollen, was das Gegenüber wirklich meint. Weil sie Dinge hinterfragen. Fragezeichen werden viel zu selten eingesetzt. Vielleicht wäre das anders, hätten die Erfinder der Schrift nicht ausgerechnet das Fragezeichen so gestaltet, dass es von allen am schwersten zu zeichnen ist. Kein Punkt, kein Strich mit Punkt, sondern ein geschwungenes Ding mit Punkt unten drunter. Das erfordert schon gewisse Fingerfertigkeiten. Gezeichnet sowieso, aber auch auf der Tastatur. Dort teilt sich das Fragezeichen sogar eine Taste mit dem scharfen „ß“. Ein Außenseiter. Klarer könnten Computerhersteller gar nicht zeigen, was sie von ihm halten. Hätten unsere Vorvorvorvorfahren das Frage- einst mit dem Rufzeichen vertauscht, vielleicht würde dann heute mehr hinterfragt werden.

Doch wir können weitgehend zufrieden sein mit unseren Satzzeichen. Am schlimmsten sind nämlich die unausgesprochenen Sätze, die, die ohne Buchstaben und Zeichen aller Art auskommen. Das große Nichts. Jene Sätze, die nicht geschrieben oder gesagt werden. Jene Fragen, die nicht gestellt werden. Und, da bin ich ja durchaus versöhnlich, auch jene Sätze, die in die Welt hinaus geschrien werden, damit sie auch bloß nicht überhört werden können.

fotolia.com/bahrialtay
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