Angstlust? Gruppentrauern? Irgendwie wurde ja auch meine Welt getroffen.

Die Magdalena Miedl hat im Zusammenhang mit den Pariser Attentaten was über Angstlust, gemeinschaftliches Trauern und Nachrichten zwischen Horror und Melodram geschrieben. Ich komme nicht umhin, darauf zu antworten.

Jede Stunde ein neues Foto. Ein neues Gesicht. Eine neue Geschichte. Ein neuer Toter. Der Twitter-Account @ParisVictims veröffentlicht Erinnerungen an die Opfer der Pariser Massenmorde. Ich nenne das, was passiert ist, Massenmorde, weil mir Terror eigentlich zu wenig weit greift. Wie Magdalena frage auch ich mich, was das ist, dieses Gefühl, um Menschen zu trauern, die man nicht kannte. Wobei Trauer, was mich angeht, wieder ein zu starker Begriff ist. Ich finde, dass ich weder das Recht und einen Grund habe, mitzutrauern. Ich habe niemanden verloren, ich lebe nicht einmal in Paris und ich weigere mich ohnehin, in Schockstarre zu verfallen und mein Lebensgefühl zu Grabe zu tragen. Ich kannte keinen einzigen der Ermordeten, aber vermutlich hätte ich einige sehr gemocht. Die Fotos zeigen lauter fröhliche, sympathische Menschen, die mitten im Leben standen. Menschen, die genauso gut Freunde von mir hätten sein können. Sie besuchten ein Konzert, das auch ich hätte besuchen können. Sie aßen, tranken und lachten in Bars und Restaurants, die auch mir gefallen hätten. Sie wollten einfach nur ein Fußballspiel sehen.

Der Terror trifft mitten ins Herz

Charlie Hebdo im Jänner war furchtbar. In den Tagen und Wochen danach war es schon ein bisschen seltsam, an einer Redaktionskonferenz teilzunehmen. Der Terror war ein Stück weit in meine berufliche Realität eingedrungen. In einer, in der wir das Recht auf freie Meinung verteidigen, egal ob es sich dabei für manche um Geschmacklosigkeiten handelt oder nicht. Die Leute von Charlie wurden schon lange bedroht, dennoch hatte wohl niemand mit diesem Massaker gerechnet. Die Zeit danach fühlte sich komisch an, aber was sollte jemandem wie mir da schon passieren. Eben: nichts. Ich werde nicht bedroht. Kein Medium, für das ich schreibe, wird bedroht. Die Massenmorde in der Konzerthalle Bataclan, in den Pariser Bars und Restaurants haben aber eine neue Dimension erreicht: Sie trafen mitten ins Herz einer Welt, in der auch meine Freunde und ich leben. Ganz ohne Vorwarnung.

Anspannung, Verzweiflung, Ohnmacht am Abend der Anschläge in Paris

Als ich von den Anschlägen erfuhr, saß ich gerade mit Freunden in einem Lokal. Wir hatten den neuen James-Bond-Film gesehen, tranken zum Ausklang noch ein Bier – und plötzlich überholte die Realität die Fiktion. Erst zuhause, nach und nach, realisierte ich, was passiert war. Dass in der Konzerthalle Bataclan, in und vor Pariser Lokalen unfassbar viele Menschen gestorben und verletzt worden waren. Ehrlich: Mir sind die Tränen runtergelaufen. Viele davon aus Wut. Ich habe die Kloschüssel aus der Nähe gesehen. Aus Anspannung, Verzweiflung, Ohnmacht, Wut. Irgendwann in der Früh bin ich dann mit dem Smartphone in der Hand auf der Couch aufgewacht. Ich wollte kein einziges Nachrichtenschnipsel verpassen.

Ist es normal, dass man in dieser Situation auch Parallelen zu seinem eigenen Leben zieht? Und vor allem: Ist das egoistisch?

Ist das normal? Ist es normal, dass man in dieser Situation auch Parallelen zu seinem eigenen Leben zieht? Und vor allem: Ist das egoistisch? Eine meiner ersten Assoziationen in dieser Nacht war die Arena Wien. Erst vor ein paar Wochen war ich zuletzt dort gewesen. Boysetsfire. Große Halle. Ungefähr 1000 Leute passen da rein. Im Pariser Bataclan sind es vielleicht 1500. Ich habe das Gefühl, die Location zu kennen, obwohl ich nie dort war. Ein Foto, das das Gratis-Blatt Heute am Cover hatte, zeigt die Besucher des „Eagles of Death Metal“-Konzerts von der Bühne aus. Dieses Bild ist für mich – so arg das klingt – fast noch schlimmer als die meisten anderen, die ich in den letzten Tagen gesehen habe. Weil es die unbändige Freude dieser Menschen zeigt, die einer Band zujubeln, die sie mögen. Eine Freude, die ich selbst kenne. Viele der Menschen sind jetzt tot, verletzt oder zumindest traumatisiert.

Angstlust ist doof, aber warum nicht trotzdem enger zusammen rücken?

Diese Yellow-Press-Geschichten lese ich nicht. Nur manchmal komme ich nicht daran vorbei, etwas mitzubekommen, und vielleicht kann man diese Paris-Victims-Stories auch so bezeichnen. Irgendwo habe ich gelesen, die Verwendung der Fotos wäre mit den Angehörigen abgeklärt worden. Vielleicht beruhigt mich das, dabei weiß ich natürlich gar nicht, ob das stimmt. Ich sehe die Bilder all diese Menschen und das macht mich traurig. Wenn ihr mich fragt, warum ich es nicht einfach ignoriere, kann ich euch nicht einmal eine Antwort darauf geben. Ich will ebenso wie Magdalena „keine Tränenströme, nicht den Kick des Augenzeuginnenberichts“. Angstlust sollte meiner Meinung nach mit dem Abspann des Horrorfilms enden und nicht beim lustigen Unfallopfer-Schauen auf der Autobahn. Dennoch scheint das etwas zutiefst Menschliches zu sein. Und so wenig Gruppendinge auch mir behagen, so hat es doch etwas Beruhigendes, wenn die Menschen wenigstens für eine Zeitlang enger zusammenrücken, um gemeinsam zu trauern.

Sie wollen unsere Gesellschaft entzweien. Den Gefallen sollten wir ihnen nicht tun.

Magdalena schreibt vollkommen richtig: „Ich sehe den Sinn der Angst nicht. Terroranschläge sind für mich ohnehin nicht vorhersehbar. Angst habe ich, wenn das Geschrei auf der Straße und im Fernsehen immer heiserer wird und immer lauter. Angst habe ich davor, dass Refugees und jene, die ihnen helfen, Angriffen ausgesetzt sind. Ich habe Angst vor dem, was Terror in uns bewirkt.“ Die Sorge verstehe ich gut und wenn es eines gibt, vor dem ich im Moment wirklich Panik habe, dann vor Hetzern und Brandstiftern. Vor der zunehmenden Kriegsrhetorik. Davor, dass wir genau das tun, was diese Terroristen, diese Mörder erwarten und wollen: unsere Gesellschaft entzweien. Genau den Gefallen sollten wir ihnen nicht tun.

Die Menschen aus dem Bataclan, aus den Bars und Restaurants haben nichts anderes gemacht, als in Frieden und Freiheit zu leben. Sie waren nicht einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort, sondern sie waren vor allem genau dort, wo sie gemeinsam einen fröhlichen Abend verbringen wollten. Vielleicht erinnern mich all diese Fotos auch daran, dass wir genau das weiterhin tun sollten. Ohne Angst. Ohne auf Hetze hereinzufallen. Ohne unser Leben, wie wir es kennen, aufzugeben. Vielleicht ist das aber auch nur eine Ausrede. Vielleicht fröne ich tatsächlich auch nur der Angstlust „unter dem Deckmantel, sich ja informieren zu müssen“, wie Magdalena sagt.

„Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen.“

Die offenen Worte eines Mannes, der bei den Anschlägen seine Frau verloren hat, machen mir jedenfalls Hoffnung. Solchen Überlebenden und Hinterbliebenen sollten wir jetzt besonders aufmerksam zuhören:

„Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Spielt noch einmal.“

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